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Von gigantischen Festwagen und Käserollern
Karneval am Ätna

Text und Fotos: Günter Schenk

Gut zweieinhalb Stunden dauert der Flug Richtung Frühling, von Deutschland nach Sizilien. Catania grüßt den Gast mit Sonnenschein und 15 Grad plus, auch wenn sich wie immer ein paar weiße Wolken an den Krater des Ätna geklammert haben.


Der Dom von Acireale ist eindrucksvolle Kulisse des größten Mummenschanzes auf Sizilien



Catania selbst kennt keinen Karneval. Dort feiert man Anfang Februar die Heilige Agatha drei tolle Tage lang, dass für Fastnachtsfeiern keine Luft mehr bleibt. Schon eine halbe Autostunde weiter östlich aber lockt das Zentrum des sizilianischen Karnevals. Acireale heißt das Städtchen, das den größten Festzug der Insel gleich an mehreren Tagen losschickt. Hier, so scheint es, hat die Geisterbahn Beine bekommen. Im Kriechtempo schieben sich skurrilste Gestalten und Figuren, montiert auf einer Handvoll gigantischer Festwagen, durch die barocke Altstadt.

Acireales Karneval ist ein rollendes Straßentheater. Eine Inszenierung für die spätwinterliche Seele, die Tristesse und Kälte leid ist und die große Emotionen sucht, um ihr in den Frühling zu helfen. Grimmige Monster zeigen sich so neben leicht bekleideten Beautys, fantastische und skurrile Gestalten, die nach Einbruch der Dunkelheit im Schein zehntausender Lämpchen noch seltsamer aussehen.

Im alten Rathaus verweist der Chef des Festkomitees auf die spätmittelalterlichen Ursprünge des Festes, als niemand den Karneval organisierte, sondern sich das Volk sein Fest noch selbst gab. Erst 1930 waren die ersten Wagen mit Pappmachee-Aufbauten unterwegs, die damals noch von Ochsen gezogen wurden. Richtig perfektioniert aber wurde der Wagenbau erst nach dem Zweiten Weltkrieg, als die närrischen Karossen technisch immer perfekter gestaltet wurden. Heute drehen sich die Figuren auf den Wagen in alle Richtungen,heben oder senken ihre Augenlider ebenso wie Arme oder Beine. Und wie im barocken Theater kommen immer wieder neue Szenerien zum Vorschein, die freilich genauso schnell wieder verschwinden. Bis zu 20 Meter hoch und 12 Meter breit sind diese Festwagen, an denen Hunderte von Handwerkern monatelang werkeln. Männer und Frauen, denen man das Jahr über bei der Arbeit zusehen kann. „Unsere Wagenbauer“, sagt man beim Karnevalskomitee stolz, „gehören zu den besten der Welt.“ Deshalb auch zeigt man die Karossen schon zwei Wochen vor Fastnacht auf ersten Umzügen – und seit einigen Jahren auch an einem Sommerwochenende. Dann stellen Touristen aus aller Welt einen Großteil der Besucher.

Misterbianco rühmt sich Siziliens schönster Karnevalskostüme.


Vor allem aus dem benachbarten Taormina, unserer nächsten Station auf närrischen Spuren rund um den Ätna. Im Sommer ist hier die Hölle los, jetzt hat man viel, viel Platz. Von Fastnacht ist in der Bergsiedlung wenig zu spüren, nur ein paar kostümierte Kinder toben im Zentrum. Weiter also Richtung Norden, am Osthang des Ätna entlang über eine kurvenreiche Straße ins Dörfchen Novara di Sicilia. Im Winter liegt hier häufig Schnee, manchmal auch am Karnevalswochenende, wenn die Einheimischen den „Torneo del Maiorchino“ feiern. Ein Spaßturnier, das auf eine ebenfalls jahrhundertealte Tradition zurückblicken kann. Dabei gilt es, einen riesigen Käselaib durchs Dorf zu rollen. Einen Schafsmilchkäse, dem jeweils zwanzig Prozent Kuh- und Ziegenmilch beigefügt worden sind. In großen Kupferkesseln wird der Maiorchino traditionell vom Frühjahr an gefertigt – heute nur noch auf Bestellung, denn auf dem Markt ist er immer weniger gefragt, haben ihn vergleichbare Käsesorten wie der Pecorino verdrängt. Früher, so heißt es in Novara di Sicilia, rollten die Hirten hier und in anderen Orten zu Fastnacht einen Käse bergab. Inzwischen ist daraus eine öffentliche Gaudi geworden, an der auch Fremde teilhaben dürfen. Sieger ist, wer mit möglichst wenigen Würfen den zehn Kilo schweren Laib ins zwei Kilometer entfernte Ziel kegelt. Kraft und Augenmaß sind da gefragt. Schnell nämlich kommt der Käse ins Trudeln, vor allem wenn seine Reise über Treppen oder Kopfsteinpflaster führt. Stundenlang wird gekämpft, oft entscheidet sich der Sieg erst spät.

Cattafi heißt das nächste närrische Ziel, ein kleines Dorf im Hinterland von Milazzo, dem Tor zu den Liparischen Inseln. Hier, hat man uns erzählt, habe der Karneval ebenfalls eine lange Tradition – eine, die auf den Einfall der Türken Mitte des 16. Jahrhunderts zurückgehe. Touristen verirren sich eigentlich nie hierher, dazu ist die Gegend zu trist, sind die Bauten zu grau. Nur zu Karneval findet der eine oder andere den Weg nach Cattafi.


Gegen halb drei soll der Umzug beginnen, doch erst eine Stunde später kommen die Narren langsam in die Gänge. Ein Gendarm sorgt für Ordnung, schleust hin und wieder ein Auto an den Narren vorbei, die unter Akkordeonklängen von San Filippo del Mela nach Cattafi ziehen. „Scacciuni“ heißen die närrischen Helden hier. Weiße Narrenkleider tragen sie und hohe weiße Hüte, an denen bunte Bänder hängen. Figuren, die auch aus der schwäbisch-alemannischen oder alpinen Fastnacht stammen könnten. In den Augen der Einheimischen verkörpern sie die Türken, welche die Bauern hier einst mit Dreschflegeln gleich nach deren Invasion vertrieben hätten.

Wahrscheinlicher freilich ist, dass sich hier ein alter Karnevalsbrauch erhalten hat, wie er sonst in Sizilien längst ausgestorben ist: ein närrischer Hochzeitszug, wie man ihm vom Balkan bis ins Baskenland an den Tagen vor Aschermittwoch begegnet. Und wie überall steht auch hier die Welt kopf, kommen die Männer in Frauenkleidern, tragen die Frauen stolz ihre aufgeklebten oder aufgemalten Bärte. Zwei Bewaffnete führen den Zug an. Gelbe Mimosen stecken im Lauf ihrer Gewehre, Blumen wie bei den rheinischen Karnevalsgarden. Ab und zu werden Konfettisalven gefeuert, zieht die närrische Gesellschaft von einer zur nächsten Kneipe. Fast ganz ohne Zuschauer kommt man hier aus, ist Fastnacht kein Event oder eine Sache zum Staunen, sondern traditionell gelebter Alltag.

Fast wie im Schwäbisch-alemannischen geht es beim
Tanz in Cattafi zu, wo sizilianische Motive auch
kleine Trommeln schmücken



Zurück Richtung Catania geht es auf der Westseite des Ätna entlang nach Misterbianco. Einem 50 000-Einwohner-Städtchen westlich Catanias, das sich Siziliens schönster Karnevalskostüme rühmt. Zitronen und Orangen schmücken hier die Narrenkleider, auch Ritter, die in Siziliens Marionettentheater, dem in Acireale ein eigenes Museum gewidmet ist, die Hauptrolle spielen. Musik wird hier, wie bei fast allen dörflichen Fastnachten, von Hand gemacht. Oft schräg, aber immer aus ganzem Herzen.

Der große Umzug ist diesmal ausgefallen, der Aufmarsch der Wagen nach Acireales Vorbild. Dem Karnevalskomitee, erfahren wir, fehle das Geld zum großen Feiern, die Stadt müsse sparen. Die Narren mit den angeblich schönsten Karnevalskostümen Siziliens aber lassen sich ihren Spaß nicht verderben. Statt in Misterbianco sind sie diesmal beim Umzug in Acireale unterwegs, der in der Nacht zum Aschermittwoch mit einem großen Feuerwerk endet.


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