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D' Narre raus!
Narrensprung in Oberndorf am Neckar

von Karin Gessler



Oberndorfer Narrenmarsch
O jerom, o jerom,
die Fasnet hot a Loch:
han koin Kreizer Geld em Sack
für a Päckle Rauchtabak!
O jerom, o jerom,
die Fasnet hot a Loch!

Jetzt ganget mr halt au gar nemme, gar nemme hoim,
bis mei Muater Küchle bacht
ond a anders Gsiecht na macht,
jetzt ganget mr halt au gar nemme, gar nemme hoim.



Die Schantlekapelle ist eine Besonderheit Oberndorfs.
Foto: Ralf Siegele
Wenn am Fasnetsdienstag der Jubelruf „D' Kirch' isch aus, d' Narre raus!“ erschallt, die Benner-Rössle den Weg frei machen und sich ein Meer von roten Schirmchen zu den Klängen des Narrenmarsches talwärts ergießt, dann hat die Oberndorfer Fasnet ihren heiteren Höhepunkt erreicht. Sie gehört zu den ältesten Fastnachten des Landes, Nachweise finden sich schon in der Zimmerschen Chronik. Dieses Jahr richtet die Narrenzunft zudem vom 15. bis 17. Januar den Narrentag des Viererbundes aus.

Freudafescht
S goht dagega, heißt es in Oberndorf bereits am Dreikönigstag zur Eröffnung der Fasnet im Rahmen der Dreikönigsversammlung. Bis zum Schmotzigen Donnerstag bleibt nun Zeit, Fasnetskleidle, Masken und Fasnetszubehör aus Schränken und Truhen zu holen und für das große „Freudafescht“ aufs Penibelste herzurichten. Kein Blümchen darf zerdrückt sein, kein Halstuch und kein Hütchen fehlen. Früher zogen in dieser Zeit auch schon die ersten Schantlegruppen zum „Aufsagen“ durchs Städtle. Heute konzentriert sich dieser Brauch auf den Schantlesonntag zwei Wochen vor der närrischen Hoch-Zeit. Dabei werden Missgeschicke und Pannen aufgetischt, die den Bürgern im vergangenen Jahr widerfahren sind. Mit dem Schmotzigen Donnerstag endet die Vorfasnet, jetzt beginnen die freudenreichen Tage, in den Lokalen herrscht buntes Treiben. Am Samstag wird beim Bürgerball gefeiert, der Sonntag gehört mit dem Kinderumzug den kleinen Narren. Am Montag treffen sich die Schantle in der Hauptstraße und am Schuhmarkt zum „Rammeln“. Kinder und „große Kinder“ umringen die Schantle und wetteifern beim Aufsagen der Oberndorfer Narrensprüche und beim Singen der Narrenlieder. Wer es am besten kann, be­kommt eine Orange oder ein Fasnetsküchle.

Dann ist der lang ersehnte „freudenreiche Tag“ endlich da, nach der Frühmesse in St. Michael sammeln sich am Fasnetsdienstag über 2000 Narren in der Oberstadt und ziehen durch die Hauptstraße und am Rathaus vorbei talwärts. Für eine gewisse Ordnung am Straßenrand sorgen die Benner-Rössle. In Frack, Jockeymütze und einen respektierlichen Schnauzbart achten die Reiter auf genügend Platz für den Narrensamen, der den Zug eröffnet. Den Kindern folgt die Stadtkapelle, die beschwingt den Oberndorfer Narrenmarsch intoniert und den Hanseln den Rhythmus vorgibt.

Viererbund Narrentag 2010
Die Fasnetsgeschichte von Oberndorf lässt sich bis in die Zeit um 1500 zurückverfolgen. Die Zimmersche Chronik berichtet von einem „freien Markt“ und auch aus Rechnungsbüchern weiß man, dass die Oberndorfer Fasnet früher ausgiebig gefeiert wurde. Die Narrenzunft Oberndorf am Neckar gründete sich 1908. 1924 gehörte sie zu den Gründungsmitgliedern der Vereinigung Schwäbisch-Alemannischer Narrenzünfte. In der Nachkriegszeit kam es dann aber zu Meinungsverschiedenheiten, die Oberndorfer beklagten die häufigen Narrentreffen und wehrten sich gegen das Abkupfern ihrer Narrenkleider, Masken und der einmaligen Brezelstange durch neue Zünfte. Schließlich verließen sie 1958 die Vereinigung Schwäbisch-Alemannischer Narrenzünfte und schlossen sich 1963 den ebenfalls ausgetretenen Narrenzünften Rottweil, Überlingen und Elzach an. Die traditionsbewussten Zünfte dieses losen Viererbundes treffen sich seitdem alle drei bis vier Jahre zu einem gemeinsamen Narrentag.

Und dieses Jahr ist es wieder so weit, in Oberndorf findet vom 15. bis 17. Januar das große Narrenfest statt. Am Freitagabend öffnen Besenwirtschaften, Festhütten, Zelte und die Festhalle ihre Tore für die Narrenschar. Am Samstagvormittag wird durch die Überlinger Zimmermannsgilde der Narrenbaum gesetzt, die Rottweiler schellen den Narrentag aus und am Abend zieht der Nachtumzug zum Schuhmarkt, wo das Schuttigfeuer entzündet wird. Am Sonntag beschließt dann ab 14 Uhr der große Umzug aller vier Zünfte den Narrentag.





















Die Hansel verschenken großzügig Brezeln an die Besucher des Narrensprungs. Foto: Ralf Siegele
























Hansel mit Schirm
Mit ihren roten, spitzenverzierten Sonnenschirmchen, die im Sonnenlicht die freundlichen Larven darunter noch verschönern, geben die Hansel der Oberndorfer Fasnet ihr ganz eigenes, heiteres Gesicht. Graziös hüpfen sie zum Takt der Musik, neigen sich freundlich den Zuschauern am Straßenrand zu und verteilen aus ihren Henkelkörbchen Süßigkeiten. Es sind vor allem Frauen, die sich unter dieser Maske verbergen. Zum Häs gehören die mit Blümchen geschmückte Flachs­perücke, der große weiße Spitzenkragen über dem weinrot-orangefarbenen Kittel, seidene Brusttücher und mit Glocken besetzte Lederriemen. In der schwäbisch-alemannischen Fasnet ist dieser Narrentypus einmalig.

Narros mit Brezeln
Ausgesprochen freundlich wirken auch die Narros, elegante Weißnarren mit glatter Larve. Sie tragen das monothematisch bemalte Kleidle, wie es auf der nahen Baar Tradition ist. Möglicherweise führte ein Oberndorfer Beamter, der aus Villingen stammte, den Brauch 1786 in Oberndorf ein. Die Ähnlichkeit der Narros beider Städte ist jedenfalls verblüffend. Sie unterscheiden sich aber in der Bemalung. Das weiße Narrenkleid des Oberndorfer Narros zeigt Bär, Löwe und Rankenwerk. Sein Gschell besteht aus bronzenen Rollen. Nicht wegzudenken ist die Brezelstange, von der sich die Zuschauer am Straßenrand das köstliche Laugengebäck erhoffen. Das ist nicht aussichtslos, die Narren in Oberndorf sind bekannt für ihre Freigiebigkeit.

Schantle mit Orangen
Die Hansele und Narros sind liebenswürdige, eher vornehm wirkende Typen. Anders die Schantle. Schon ihr Name verrät, dass sie gerne Schabernack treiben. Schantle kommt von „schandlich tun“. Früher waren sie berüchtigt für ihre derben Späße und unanständigen Sprüche. Auch wenn heute niemand mehr Schlimmes zu befürchten braucht, so sind die lebhaften Schantle doch immer auf der Suche nach Opfern. Das Spiel mit dem Publikum ist ihre Passion, auf ihren Fingerzeig hin sollte man unverzüglich einen der vielen Oberndorfer Fasnetssprüche oder den Text des Narrenmarsches parat haben. Ist der Schantle zufrieden, bekommt man dafür auch eine süße Orange. Spruchfestigkeit und Geschicklichkeit wird auch beim Wurstschnappen erwartet, wenn die Schantle rote oder schwarze Würste an einem Wurstgalgen hängend vor den gelüstigen Nasen der Auserkorenen tanzen lassen. Kindern, die beim Aufsagen stecken bleiben, helfen die Schantle aber gerne weiter. Die Masken der Schantle tragen genießerische, greinende oder auch grimmige Züge, haben aber nie etwas Dämonisches. Auf dem Kopf tragen sie ein grünes Hütchen, das Häs aus originalem Oberndorfer Metzgerleinen ist mit runden, bunten Plätzle aus Filz benäht. Begleitet werden die Schantle von den beiden Schantleskapellen, echten Oberndorfer „Urgewächsen“, angeführt durch ihre Dirigenten in schwarzem Frack und mit Zylinder. Bevorzugte Instrumente der närrischen Musikanten sind Akkordeon und Schellenbaum.

Tausende von Orangen wechseln beim Narrensprung den Besitzer. Foto: Ralf Siegele

Türkisch-deutscher Kulturaustausch –Wie die Orange zu den Schantle kam
Alles begann im Jahr 1887. Damals beauftragte der Sultan von Konstantinopel die Gewehrfabrik der Gebrüder Mauser in Oberndorf mit der Lieferung von Infanteriegewehren für die Neubewaffnung der türkischen Armee. Bald darauf traf eine erste Abnahmekommission ein, der Offiziere, Professoren, Ingenieure der Kriegsschule des Sultans, Waffenmeister und Schüler der Militärakademie angehörten. Die meisten von ihnen wohnten anfangs bei Oberndorfer Familien oder im Gasthof „Post“. So entstanden im Laufe der Zeit herzliche Freundschaften und – wie könnte es in einer alten Fasnetshochburg wie Oberndorf anders sein – die Gäste wurden mit dem Narrenfieber angesteckt. Schon ein Jahr später fuhren türkische Offiziere in einer Kalesche am Ende des Narrensprungs mit und verteilten großzügig Orangen und Feigen. Die Schantle erkannten schnell die Vorzüge der runden Südfrüchte – bisher dienten neben Würsten vor allem
gedörrte Zwetschgen und Birnenschnitze als Wurfmaterial. Und auch die Obsthändler der näheren und weiteren Umgebung reagierten prompt. Neben vielen anderen inserierte Karl Gaismaier aus Ulm im „Schwarzwälder Boten“ und kündigte an, er erwarte rechtzeitig zur Fasnet die Lieferung von „17 Doppelwaggons Orangen aus Messina und Spanien“. So wurde schließlich die Orange zum Markenzeichen der Schantle, die die süßen Früchte immer noch zentnerweise unters Volk bringen.


















Polizei mit Säbel
Der Polizeischantle be-schließt den fröhlichen Narrensprung. Die Uniform aus ockergelbem Rupfentuch, die mit roten Biesen und Schulterstücken besetzt ist, sowie der lange Säbel verleihen ihm Autorität. Diese braucht er auch dringend, soll er doch am Ende des Zuges für Zucht und Ordnung sorgen. Hinter ihm darf kein Kleidle mehr laufen.

Unten in der Talstadt löst sich nun der Narrenmarsch zu einem großen Narrenreigen auf, zu dem die verschiedenen Musikkapellen aufspielen. Und weil ein Narrensprung an so einem freudenreichen Tag einfach viel zu wenig wäre, treffen sich die Narren, gestärkt durch ein opulentes Narrenmahl, am Nachmittag pünktlich um 14.30 Uhr zum zweiten Narrensprung in der Oberstadt. Noch bis 18 Uhr herrscht fröhliches Narrentreiben auf den Plätzen und in den Gasthäusern. Dann muss das Narrenhäs wieder mit der normalen Kleidung vertauscht werden.



Oberndorfer Narrensprüchle
Der Tag, der isch so freidareich,
dia Baura füehret Mischt,
dass der Bürgermeischter von Oberndorf
a rechter Sauhund ischt!

En dr hentera Gass,
en dr vordera Gass,
da wohnt a dicker Beck,
der streckt da Arsch zom Fenster raus
ond sait, es sei an Weck,
’s ischt koan Weck,
’s ischt koan Weck,
’s ischt dr Arsch vom Richterbeck!

Lirum, larum Lädamle,
’s Kätzle hot a Wedamle
ond a Löchle obadruf,
d’ Narra staußet d’ Nase druf,
drum hen se au so Warza druf!



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