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Die Gengenbacher Hexen:
Geschwätzig, neugierig und stets verlarvt

von Hardy Gertz


Schuddig-Umzug

Den Gengenbacher Hexen kommt im schwäbisch-alemannischen Narrenraum eine besondere Rolle zu. Sind viele ihrer Schwestern in anderen Narrenhochburgen gegenüber Fasnetsbesuchern mitunter gar nicht wählerisch in ihren Mitteln, fallen die Gengenbacher Hexen förmlich aus dem Rahmen. Zwar zu manchem Schabernack aufgelegt, oft sogar auch sportlich beim Fassadenklettern, sind die Hexen aus dem Kinzigtal lediglich extrem neugierig, geschwätzig, fast lieblich und oft auch anhänglich. Nie handgreiflich, na ja, gegenüber jungen Mädchen und kecken Buben vielleicht mal. Dann müssen die Buben aber schon ziemlich frech und die Mädchen sehr hübsch sein.

Derzeit gibt es etwa 170 Hexen in Gengenbach, allesamt Männer. Es herrscht klare Geschlechtertrennung, denn viele Frauen der ehemals Freien Reichsstadt laufen während der Fasend massenhaft als Spättlehansel umher, wenn sie denn Mitglied der Narrenzunft Gengenbach sind. Um jedoch als Hexe durch die Straßen und lieblichen Gassen Gengenbachs ziehen zu dürfen, müssen von den Aspiranten einige Hürden gemeistert werden. Und dieser Weg ist kein leichter.

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Feuerangriff des Schalks auf den Hexenbesen der Gengenbacher Hexen | Fotos: Hardy Gertz

Eine der wichtigsten Voraussetzungen zur Erlangung der Hexenwürde ist die Sprache. Die Fistelstimme, mit der die Gengenbacher Hexen die Fasendsbesucher in Gespräche ver- und sie schließlich einwickeln, ist unabdingbar, dann aber bitte schön auch im passenden „Gengenbacherisch“. Im Dialekt müssen die Kandidaten schließlich vor der versammelten Hexenschar ihre Geschwätzigkeit unter Beweis stellen. Zweimal im Jahr treffen sich im Hexenkeller unterhalb des Rathauses alle Hexen und beim Herbsttreffen wird über die Aufnahme der „Neuhexen“ abgestimmt. 18 Jahre ist das Mindestalter und ein Jahr zuvor muss der Bewerber mit dem Besenschlag als Zunftmitglied aufgenommen worden sein. 80 Prozent der Stimmen der anwesenden Hexen sollte man verbuchen.

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Erstmalig fand das Stopfen der Lumbehunde im Jahr 2010 öffentlich auf dem Gengenbacher Marktplatz statt. In den Jahren zuvor geschah dies auf einem Bauernhof weiter außerhalb.

Schlagfertigkeit ist eine Gabe, die man nur schlecht trainieren kann, aber kaum eine Hexe der Freien Reichsstadt ist mal um eine Antwort verlegen. Und gerade dies macht das Besondere der Gengenbacher Hexen aus. Eine echte Härteprüfung erwartet die Bewerber schließlich am Fasendsundig, wenn es recht früh daran geht, nicht als Hexe, sondern – als Lumbehund zurechtgemacht zu werden. In eine viel zu große Hose und einen ebenso überdimensionierten Pullover passen Unmengen von Stroh, mit denen die Zwischenräume von Körper und Kleidung sehr fest ausgestopft werden. Da kommen etwa 20 Kilo zusammen. Das Endergebnis dieser „Mastkur“ sind von den Zuschauern am Straßenrand bemitleidete, recht unförmige Gestalten, die zudem als Spielball der Hexen beim Umzug herhalten müssen.

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Die Gengenbacher Hexen verteidigen ihren knapp zehn Meter hohen Hexenbesen.

Da werden die Lumbehunde umgestoßen, herumgerollt, man wirft sich auf sie, und die Ärmsten können wegen ihrer fast absoluten Unbeweglichkeit nichts dagegen machen. Es liegt auf der Hand, dass man in dieser extremen Fasendsverpackung schnell ins Schwitzen gerät und der Flüssigkeitsverlust an einem solchen Tag enorm ist. Da die Lumbehunde stets von Hexen begleitet werden, die für eine Art All-inclusive-Service in Form von Getränken und Würstchen sorgen, macht in der Regel auch kein Lumbehund schlapp. Dazu muss aber auch die Witterung mitspielen. Erfahrene Fastnachter berichteten von Fasendszeiten, als das Thermometer am Sonntag an die 20 Grad zeigte. Da mochte niemand mit den Lumbehunden die Rolle tauschen. Und für den Fall der Fälle haben einige der Begleithexen auch ein Taschenmesser dabei, um den Kandidaten rasch von seiner Strohlast befreien zu können. Ist schließlich auch diese Prüfung gemeistert, steht einer glorreichen Laufbahn als Gengenbacher Hexe eigentlich nichts mehr im Wege. Nach dieser Extrembelastung heißt es dann am Fasendmendig, erst einmal ausruhen. Denn in Gengenbach ist an diesem Hohen Tag eigentlich in Sachen Fasend nicht viel los.

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Die Gengenbacher Hexen verteidigen ihren knapp zehn Meter hohen Hexenbesen.

Am Dienstag dann wieder umso mehr. Dann liegen hinter den Gengenbacher Hexen fast sieben Tage Fasend, denn mit dem Aufstellen des Hexenbesens und dem Errichten des Feuerhakens am Mittwoch vor Aschermittwoch starten die Narren voll durch. Und für viele Hexen bedeutet dies Dauereinsatz in den nächsten Tagen. Schlaf kommt in dieser Zeit allemal zu kurz, denn eine zeitliche Begrenzung des Narrens, ob morgens oder abends, gibt es nicht. Da heißt es dann Schnurre un Schnaige in den Lokalen. Und man weiß garantiert nicht, wer sich hinter der Hexenmaske verbirgt. Sie sehen alle irgendwie gleich aus, die Gengenbacher Hexen. Beim näheren Hinschauen bemerkt der Betrachter zwar eine Vielfalt kleiner Unterschiede, welche es aber trotzdem fast unmöglich machen, ein und dieselbe Hexe später wiederzuerkennen. Da hilft es auch nicht, sich irgendwelche äußere Merkmale der Kleidung einzuprägen. Meist gibt es im Hexenkleiderschrank mehrere Ausführungen.

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Die Anstrengung ist dem Lumbehund ins Gesicht geschrieben. Bei solchen Balgereien auf der Straße auch kein Wunder.

Das Bestreben der Gengenbacher Hexen, stets unerkannt zu bleiben, ist sehr angenehm. In der Regel wird man nie eine Hexe ein Lokal unverlarvt betreten sehen. Jedoch ganz so streng wie im benachbarten Elzach, wo ein unverlarvter Schuttig ein Sakrileg ist, sieht man die Sache in Gengenbach nicht.

Am Fasendzischdig folgt schließlich der letzte und zudem spektakulärste Akt der Gengenbacher Fasend. Der riesige Hexenbesen auf dem Marktplatz ist am Abend das Ziel des Schalks, der Hauptfigur der Fasend. Der versucht am Fuße des Besens ein Feuer zu entzünden, die Hexen versuchen dies zu verhindern. Doch siegt immer Schalk und der Besen steht in kurzer Zeit in Flammen. Die wagemutigsten Hexen stürzen noch durch die Glut, dann geht es in den Hexenkeller zum Finale und alle freuen sich schon auf die Fasend im nächsten Jahr. Viele auch mit einer Träne im Auge.


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