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Gut behütet in die Villinger Fasnet mit "Spitzenhauben"

Handgearbeitete Hauben nach Originalvorlagen mit besten Materialien und höchster Präzision – diese Kunst beherrscht Maria Haller aus Villingen. Ihre "Spitzenhauben" zieren die traditionelle "Alt-Villingerin", eine wichtige Figur der historischen Villinger Fasnet. Maria Hallers Hauben runden als Krönung – und das im wahrsten Sinn des Wortes – die beeindruckende Erscheinung der Alt-Villingerin ab. Wochenlange kunsthandwerkliche Arbeit steckt in diesen Kopfbedeckungen, eine jede ein Unikat, exakt nach Maß und Vorstellung der Künstlerin und der späteren Trägerin gestaltet. "Alles muß bis ins winzigste Detail stimmen", so Maria Haller, deren Hauben im Lauf der Jahre die Position der Haupt-Sache ihres Schaffens eingenommen haben.


Der Tradition verpflichtet
Maria Haller
Die 60jährige Haubenmacherin lernte ihr Handwerk von der Pike auf. Denn: "Haubenmachen ist zu anspruchsvoll für Laien. Traditionell oblag dieses Handwerk den Modistinnen." Diese fertigten nicht nur Hüte und Hauben, sondern auch die Kopfbedeckungen für die Fasnet. Die aus dem Raum Ravensburg stammende Maria Haller absolvierte in den fünfziger Jahren eine Schneiderlehre, legte die Meisterprüfung ab und besitzt mittlerweile über 45 Jahre Berufserfahrung im Handwerk und als Lehrkraft an Hauswirtschaftsschulen. Über das solide handwerkliche Können mit Beherrschung aller wichtigen Techniken hinaus – inklusive Klöppeln und Goldstickerei – verfügt die Schneidermeisterin über Phantasie, Kreativität und Forschergeist. Besuche in europäischen Museen, Geschichts- und Quellenstudien eröffnen Maria Haller Einblick in die Welt der Mode und deren Wandel durch die Jahrhunderte. Mit Fotoapparat und Zeichenblock hält sie ihre Studien fest. Diese Zeitzeugnisse liefern die Vorlage für originalgetreues Schaffen. So präsentiert sich eine Biedermeier-Haube für ein junges Mädchen ganz anders, nämlich schlicht und sittsam, als eine prunkvolle Haube für eine einflußreiche Patrizierfrau.


Puppen als Inspiration
Mit dem Gestalten von Puppen, gekleidet in die verschiedenen Gewänder der jeweiligen Epoche, begann für Maria Haller vor rund zehn Jahren ein besonderes Abenteuer, das die Schneidermeisterin in die Kunst des Haubenmachens führte. Begeistert und begeisternd setzte sie damals ihr enormes Wissen über die Geschichte der Mode in Verbindung mit dem reichen handwerklichen Erfahrungsschatz um und schuf bezaubernde historische Puppen. Auch dabei zeigte sich die Schneiderin als Perfektionistin: Angefangen bei der handgesponnenen Wolle für die Strümpfchen, gestrickt nach Farbenverlauf, original handgeklöppelte Spitze und Biedermeier-Borte für das Biedermeier-Kind von 1830, über die Stickereien bis hin zum Hohlsaum am Unterkleid aus Leinen stimmt jeder Aspekt an den Kostümchen. Auch den Trachten der Region widmete Maria Haller eine Abteilung. Die bäuerliche und die städtische Tracht, das jeweilige Gewand der katholischen und der evangelischen Bevölkerung, übten eine Faszination auf die Schneiderin aus.

Aus Freude, Wertschätzung und tiefer Verbundenheit mit der Villinger Fasnet, die Maria Haller seit 1968 jedes Jahr als Zuschauerin des historischen Fasnetmendig-Umzugs besucht, gestaltete sie auch zwei Alt-Villingerinnen-Puppen: Mutter und Tochter, liebevoll gearbeitet inklusive Hauben, denn die Alt-Villingerin geht niemals ohne Haube aus dem Haus. Und dann war sie plötzlich da, die Idee: Haubenmachen für richtige, erwachsene Alt-Villingerinnen. "Wer eine winzige Puppenhaube perfekt hinbekommt, der meistert auch eine große Haube", sagte sich Maria Haller und begann. Mit Erfolg. Auf Anhieb gelangen der passionierten Handwerkerin mit der immensen Geduld meisterhafte Kreationen, die Kennern der Villinger Fasnet sofort ins Auge fallen. "Eine Alt-Villingerin, die so eine Haube voll Glück und Stolz trägt, bereitet mir riesige Freude", verrät die Haubenmacherin, über die man in Fasnetkreisen voll Anerkennung spricht: "Wenn man eine besonders schöne Haube will, dann geht man zur Frau Haller."


Flohmärkte als Fundgrube
Radhaube"Es gibt leider so viele unzulänglich mit charmlosen Synthetik-Spitzen gearbeitete Hauben", bedauert die Fachfrau, die die Meßlatte sehr hoch legt. Maria Haller besteht auf solide, echte, exakte handwerkliche Arbeit. Sie ehrt und pflegt die Handwerkstradition und versteht ihre Tätigkeit als einen Beitrag, altes, über Jahrhunderte gewachsenes Können und Brauchtum der Nachwelt zu überliefern. Ihr Ziel: "Meine Hauben sollen mich überleben und in Ehren gehalten werden."

Handarbeit von A bis Z heißt ihre Devise. Auf Flohmärkten forscht sie nach historischen Borten, handgefertigten Spitzen, Bändchen aus Seide, uralten Stoffen, Strick-, Stick- und Klöppelarbeiten: "Viele Händler wissen gar nicht, was da so achtlos auf ihren Wühltischen liegt." Im eigenen Fundus befindet sich eine über 30 Jahre gewachsene Sammlung mit Borten und Spitzen aus ganz Europa. Bei Klöppel- und Stickkursen und –kongressen vervollkommnet Maria Haller die eigenen Kenntnisse und lernt wiederum andere Kunsthandwerkerinnen kennen, die sie mit Kostbarkeiten versorgen. Auftretende Materialprobleme, insbesondere bei Reparaturaufträgen alter Hauben, löst sie mit einer Mischung aus Erfahrung und Pfiffigkeit. Warum nicht kurzerhand eine Spitze in Kaffee oder Tee baden, bis sie die gewünschte Patina annimmt? Oder mit Pfeifenreiniger eine Bruchstelle in einer Haube aus puscheliger Wolle flicken?


Blick ins Atelier
"Eine Haube muß wie angegossen sitzen", lautet das Ideal. Ein Problem bereiten jedoch die modernen Frisuren. "Ein altmodischer, im Nacken fest gesteckter Knoten ist das Optimale für eine Haube", weiß Maria Haller aus Erfahrung. Sie nimmt bei den Kundinnen genau Maß, begutachtet Körpergröße, Statur, Proportionen, Gesichts- und Kopfform (Faustregel: große Hauben für große Frauen, kleine Hauben für kleine Frauen), bespricht die Vorstellungen mit der späteren Trägerin, legt Entwürfe und Vorschläge aus ihrem stattlichen Archiv vor. Darauf erfolgt die Auswahl der Materialien. Und dann geht es los mit dem Rohling: Ein eigens für sie angefertigtes Metallgestell überzieht die Haubenmacherin mit Pappe und weicherem Stoff (zum Beispiel Lurex). Im nächsten Arbeitsgang folgt die selbstgemachte Spitze, entweder geklöppelt aus Goldfäden oder als besondere Kostbarkeit Hohlspitze. Alleine in dieser Hohlspitze können rund 250 und mehr Arbeitsstunden stecken. Um die für die Spitzenfertigung notwendige Fingerfertigkeit zu erlangen, trainiert Maria Haller regelmäßig mit Garn und Faden neue Techniken und die Feinmotorik ihrer Hände.

Ist das "Spitzenwerk" komplett, folgt das sogenannte Aufziehen (die Montage). Auf das mit Pappe und Stoff aufgefütterte Gestell bringt Maria Haller die Spitze zunächst am Kopfteil und dann an der sogenannten Krone an. Der Hinterkopf, Spiegel genannt, genießt als Blickfang besondere Beachtung. Ein jeder Spiegel präsentiert sich anders in Form und Gestaltung. Der letzte Arbeitsgang gilt dem Innenteil, dem Boden. Dieser trägt auch die Signatur der Haubenmacherin "M.H." – das Gütesiegel...

Dagmar Schneider-Damm. Veröffentlicht in: "freizeit spiegel, anstadtmagazin", Nr. 137, Februar 1998
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