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Fasnet in Endingen
Im Zeichen des Jokili 

Am westlichen Rande der alemannisch-schwäbischen Fastnachtslandschaft liegt die alte Weinstadt Endingen am Kaiserstuhl. In ihren Mauern wird eineJokili Fasnet gefeiert, die in ihrem Wesen mancherlei Eigenheiten aufweist und sich von den Fastnachten im Schwarzwald, auf der Baar und am Bodensee unterscheidet. Kaiserstühler Weinseligkeit, gepaart mit einer gesunden Portion Stadtstolz, geben ihr ein einzigartiges Gepräge. 
Die Endinger hängen sehr an ihren Bräuchen, nicht nur in der närrischen Zeit, denn Tradition hat in der ehemals vorderösterreichischen Stadt einen hohen Stellenwert.
Mit der Narrenfigur des Jokili besitzen die Kaiserstühler eine der ältesten Brauchfiguren am Oberrhein, deren Existenz bis in das ausgehende achtzehnte Jahrhundert zurückverfolgt werden kann. Trotz der überaus reichen Historie ist die Endinger Fasnet nicht in einer musealen Starre gefangen. Der Freiburger Volkskundler Professor Werner Mezger glaubt in ihr gar etwas Operettenhaftes entdeckt zu haben. Dabei hatte er vielleicht die Fasnetsspieltradition, die überreiche Liedkultur oder die Saalfasnet vor Augen, in denen die Kreativität der Endinger Narren besonders gut zum Ausdruck kommt. 


"Z Ändinge het mr an dr Fasnet scho allewiil Jokilis gmacht ..."
Wie bei vielen alten Narrenfiguren liegt auch die Herkunft des Endinger Jokili im Dunkeln. Sein Name, der sich wohl vom lateinischen Wort Ioculator (Possenreißer) ableitet, lässt die Vermutung zu, dass die Figur im romanischen Sprachraum ihren Ursprung hat. Der Jokili fiel offenbar auf einen fruchtbaren "Fastnachtsboden", denn gerade aus dem achtzehnten Jahrhundert liegen einige bemerkenswerte Belege zum Fastnachtstreiben in Endingen vor. In einem Ratsprotokoll des Jahres 1736 heißt es beispielsweise:

"Auf gegenwerthige fastnachtzeith sollen die ledige leüth sich in den würthshäusern nachts nach 9 uhren nit mehr fünden lassn, die würth auch nach solcher zeith kein weinmehr ausschenkhn, under straf; 5 Pfund Pfennig: nicht weniger das masquiren, danzen und deiflspyln solle unter gemelter [genannter] straf nach bethzeith abends eingestellt und verbothn seyn: auch ausser den 3 letsten fasnachtägen kein laubertag [ausgelassenes Feiern] mehr gehaltn werden: wie ein solches der gesambten gemeind zue publicieren ist."

Bemerkenswert an diesem Beleg erscheint vor allem das deiflspyln, zu dessen Ablauf und Inhalt es leider noch keinerlei sonstige Hinweise gibt. Darüber hinaus liefert dieser Protokollauszug den Endinger Narren den ersten Hinweis auf das fastnächtliche Maskentragen in ihrer Stadt. Ältere bekannte Hinweise, der früheste aus dem fünfzehnten Jahrhundert, belegen die Fastnacht in Endingen hingegen "nur" als kalendarische Angabe. 
Die Hauptfigur der Endinger Fasnet, der Jokili, wird im Jahre 1782 erstmals fassbar. In jenem Jahr wurde auf dem Marktplatz der Stadt das Fasnetsspiel "Jokilis Heimkehr" aufgeführt. Es muss ein großartiges Ereignis gewesen sein, denn bis tief in die Nacht, so berichten die Quellen, wurde getanzt und gefeiert. Neben dem Fasnetsspiel wird von einem Umzug berichtet, bei dem der Jokili, auf einem Thron sitzend, durch die Stadt getragen wurde. Im Zusammenhang mit "Jokilis Heimkehr" wird auch eine Fasnetszunft genannt, deren Zunftmeister seinerzeit auch Gildemeister der Meistersingergilde war. 
Die heutige, im Jahre 1929 wieder gegründete Endinger Narrenzunft sieht sich als Nachfolgerin dieser frühen Fasnetszunft und der Fasnetsvereinigung "Krakehlia", die im Jahre 1842 entstanden ist. Die "Krakehlia" bestimmte maßgeblich die Geschicke der Endinger Fasnet in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts.


Jokiligewänder aus alter Zeit
Wie der Jokili im achtzehnten Jahrhundert aussah, weiß man nicht. Allzu sehr dürfte sein Erscheinungsbild aber nicht von dem heutigen gewichen haben. Eine kürzlich bei Archivarbeiten entdeckte Titelvignette aus dem Jahre 1783 (!) zeigt in einem zeitgenössischen Kupferstich einen Narren, der mit seiner dreizipfligen Narrenkappe und weiteren Attributen dem heutigen Endinger Jokili verblüffend ähnlich sieht.
Aus dem neunzehnten Jahrhundert sind einige Narrenkleider und Kleiderteile erhalten geblieben. Seinerzeit wurden einfachste Stoffe sowie Tücher, die aus der Mode gekommen waren, zum Schneidern der Gewänder benutzt. Verwendung fanden ebenfalls Matratzenstoff, Hochzeitsschals und Vorhänge. Trotz dieser Vielfalt waren diese Jokilifiguren mit ihrer dreizipfligen Narrenkappe und dem mit Schellen verzierten Narrengewand klar als solche zu erkennen. Schlichte Draht-, Pappmaché- und Stoffgazelarven dienten der bunten Narrenschar damals zur Maskierung, auch das Schminken war üblich.
Im Jahre 1934 wurde das Gewand des Endinger Jokili farblich festgeschrieben. In Anlehnung an die Farben des Stadtwappens wurde das Narrenkleid in rot gehalten, die Zipfel blau-weiß eingefasst. Man schuf damit, wie andernorts auch, eine unverwechselbare, ortstypische Narrenfigur. 


Aus Hakenkreuzfahnen werden neue Narrenkleider
Die Ironie des Schicksals und der Umstand, dass man zu Beginn der 1930er Jahre die Farbe rot als Gewandfarbe gewählt hatte, wollte es, dass die Endinger Jokili gleich nach dem Zweiten Weltkrieg einen beachtlichen Zuwachs erhielten. Man verwendete den Stoff der Hakenkreuzfahnen, um zahlreiche neue Narrenkleider zu nähen, während sich die französische Besatzungsmacht ob der wenigen einzusammelnden Fahnen wunderte.
Heute beteiligen sich bis zu achthundert Jokili am Narrentreiben im Städtli. Unter die vielen "roten" Jokili mischt sich seit einigen Jahren auch wieder die buntere Variante dieser alten Figur und bereichert in ihrer Vielfalt die Endinger Fasnet. 


Aus dem Brunnen - in den Brunnen - Der Ablauf der Endinger Straßenfasnet
Die närrische Zeit beginnt in Endingen an Maria Lichtmess (2. Februar). Ab diesem Tag dürfen sich die Kinder als "Häxli" verkleiden. Ihre Heischegänge in den Geschäften der Stadt liefern einen Vorgeschmack auf die eigentlichen Fastnachtstage, die durch zwei eindrucksvolle Brunnenbräuche am schmutzigen Dunnschdig und am Fasnetszischdig eingerahmt sind. 
Angeführt durch den Besenmann, gefolgt vom Stadttier und dem Zunftrat mit dem Narrenbaum auf den Schultern, setzt sich am Abend des schmutzigen Dunnschdig der große Hemdglunkerumzug in Bewegung. Zu Tausenden geht es dann durch die Altstadt zum Rathausbrunnen auf dem historischen Endinger Marktplatz. Nach dem Aufstellen des Narrenbaums wird dort in einer imposanten Zeremonie der Jokili aus dem Brunnen geholt: Der Oberzunftmeister sowie der Zeremonienmeister beschwören den seit der letzten Fasnet im Brunnen ruhenden Jokili. Das eindringliche "Jokili, bisch in Brunne gheit - i hab di here plumpse" und das mächtige "Jokili kumm" aus Tausenden von Kehlen erwecken den Jokili schließlich wieder zum Fasnetsleben. Der Oberjokili, die Leitfigur der Endinger Fasnet, erscheint auf dem Brunnenrand - "jetz isch ändlig d Fasnet do". 
Nach einem ruhigen Fasnetsfridig, dem Gedenktag an den Kreuzestod Christi angemessen, steht der Fasnetssamschdig wieder ganz im Zeichen der Narretei. Besonders am Abend ist wieder das ganze Städtli auf den Beinen. Zahlreiche fantasievolle Schnurrgruppen ziehen von Wirtshaus zu Wirtshaus, um hinter ihrer Maskierung den Leuten auf närrisch-offene Art so allerlei zu erzählen, das Stadtgeschehen des vergangenen Jahres zu glossieren oder mit einstudierten Liedbeiträgen das Publikum zu unterhalten. In den Lokalen und auf den Straßen hört man die alten Fasnetslieder und -sprüche. In der Stadt herrscht urwüchsige Endinger Fasnetsstimmung. 
Der Fasnetssunndig ist der lang ersehnte große Jokilitag. Am Morgen ruft der Stadthauptmann hoch zu Ross die Fasnet aus. Nach dem Mittagessen versammeln sich Hunderte große und kleine Jokili außerhalb des Königschaffhauser Tors, im Volksmund "Torli" genannt, um von dort aus zu ihrem Umzug aufzubrechen. Zu den Klängen der beiden Endinger Narrenmärsche bewegt sich die große Jokilischar durch das Städtli zum Marktplatz, wo traditionell das Narrenbrot verteilt wird. Neben dem Oberjokili und dem Stadttier ist eine weitere Tiergestalt mit von der Partie: der Endinger Fasnetsstorch, der, wie sollte es auch anders sein, den Jokilisamen anführt. Am Abend des Sonntags, nach einer Stärkung in geselliger Runde in den Wohnstuben, trifft sich die große Jokilischar erneut, um sich nach einem stimmungsvollen Nachtumzug auf dem Marktplatz der Stadt einzufinden. Dort findet das Fasnetsverkünden durch den Oberjokili statt, wobei auch hier die alten Endinger "Fasnetssprichli" und "Liadli" zum Besten gegeben werden.


"Dr hegscht Fiirdig im Johr - dr Fasnetsmändig"
Der Fasnetsmändig beginnt mit dem ohrenbetäubenden Wecken. Die halbwegs ausgeschlafenen Narren treffen sich im Schlafanzug und mit allerlei Lärminstrumenten ausgerüstet, um gemeinsam mit dem Oberjokili durch die Straßen und Gassen zu ziehen. Ihre Katzenmusik wird nur unterbrochen durch den Aufruf des Oberjokili "Stehn uf, stehn uf - ihr Narre ...". Im Mittelpunkt des Fasnetsmändig steht der Große Umzug mit den Endinger Taditionsfiguren und allen Narrennestern. In den Narrennestern sind die Bewohner der einzelnen Stadtviertel organisiert, die mit ihren bunten Wagen und Fußgruppen das Ortsgeschehen glossieren. Das ganze Städtli ist alljährlich gespannt, welche Begebenheiten des letzen Jahres von den Narrennestern präsentiert werden. Zwei weitere Einzelfiguren, der Galli und das Dialfraili, sind ausschließlich an diesem Umzug zu sehen. 
Auch am Abend des Fasnetsmändig herrscht in den Lokalen der Stadt bis in die frühen Morgenstunden Hochstimmung. Keiner will die letzten glückseligen Fasnetsstunden des Jahres versäumen. 


"Un isch dia Fasnet rum ... - dr Fasnetszischdig"
Wie alles im Leben hat auch mal die Fasnet ihr Ende. Am Morgen des Fasnetszischdig ist es ruhig im Städtli. Da und dort hört man das Schellen der letzten Jokili auf ihrem späten Heimweg. Am Nachmittag wird es wieder lebendiger in der Stadt, wenn sich die Frauen in den Lokalen zu ihrem traditionellen Frauenrecht treffen. Nach Einbruch der Dunkelheit sammelt sich die Endinger Narrenschar zu ihrem letzten Umzug. Allesamt sind sie schwarz gekleidet, nur ihre weiße Rüsche und der mit Buchs verzierte Stecken erinnern an den Jokili. Unter dumpfem Tambourengetrommel formiert sich ein schauerlicher Trauerumzug. Auf einer Bahre wird der leblose Jokili zum Rathausbrunnen getragen, wo unter großem Wehklagen von ihm Abschied genommen wird. Im Anschluss an eine ergreifende Trauerrede wird er wieder in den Brunnen geworfen. 
Nach den Feiertagen hat der eingefleischte Endinger Narr bis zu sechs Umzüge in nur fünf Tagen bewältigt. Eine erlebnisreiche Fasnet liegt hinter den Jokili.


Die Endinger Schauspiel- und Saalfasnet
Eine weitere Facette der Fasnet in Endingen ist die überaus lebendige Schauspiel- und Saalfasnet. Fastnachtsspiele lassen sich bis in das achtzehnte Jahrhundert nachweisen, von "Jokilis Heimkehr" anno 1782 wurde bereits berichtet. In den Dreißigerjahren des vergangenen Jahrhunderts haben sie eine wahre Renaissance erlebt. Auch heute erfreuen sie sich großer Beliebtheit. Im Jahre 2000 wurde mit dem Schauspiel "1499 - wegen dem Händel mit den Eidgenossen" die 500. Ersterwähnung der Fastnacht in der Kaiserstuhlstadt gewürdigt. Und 2004 werden die Endinger am Fasnetssunndig und -mändig wieder ein großes Fasnetsspiel auf ihrem Marktplatz aufführen. Die Stücke stammen nach wie vor aus der Feder Endinger Zunftbrüder und werden mit viel Engagement einstudiert und dargeboten.
Auch in den alljährlich stattfindenden Zunftbällen stellen die Endinger Narren ihr komödiantisches Talent unter Beweis. Bei den rund vier- bis fünfstündigen Veranstaltungen stehen neben Tanz- und Akrobatikaufführungen besonders die Wort- und Gesangsbeiträge im Vordergrund. Nicht nur dem Kenner des örtlichen Geschehens bietet sich ein ideenreiches und buntes Programm.


"Un alli singe mit ..." - Die Endinger Fasnetslieder und -sprüche 
Urwüchsig und originell sind auch die zahlreichen Lieder und Sprüche, die in der närrischen Zeit zum Besten gegeben werden. Über dreißig gehören zum ständigen Repertoire der Jokili. Neben einigen in der gesamten Fasnetslandschaft gängigen "Gsätzli" sind die meisten nur in Endingen bekannt. Auf diese eigenständige, lebendige Liedkultur sind die Kaiserstühler Narren besonders stolz.
Zweifellos zum Altbestand der Fasnetssprüche gehört das Jokili-Sprüchli "Jokili, Jokili, jo, jo". Jedes Kind im Städtli kennt es. Selbst in der venezolanischen Auswandererkolonie Tovar, die 1843 von Kaiserstühlern gegründet wurde, ist dieser Klassiker bis zum heutigen Tage lebendig. Selbst fern der alten Heimat haben sich somit die Nachfahren der Auswanderer ein Stück des alten Endinger "Jokiligeistes" bewahren können. 

Tobias Schneider und Wolfgang Koch, veröffentlicht in "Narri-Narro" 3/2003
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