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... a schianere Fosnocht gibt's nit
Text und Fotos von Peter Haller

Die Imster Fasnacht ist eine unheimlich lebendige Fasnacht, reich an Figuren und Bräuchen, eine Fasnacht, die sich rar macht und aus diesem raren Geschehen offensichtlich so viel Kraft schöpft, dass es alle vier Jahre förmlich zu einer fasnächtlichen Explosion kommt. Der Topf brodelt, wenn es ab 6. Jänner „in die Fasnacht geht“, bis dann der Deckel Wochen später im wahrsten Sinne des Wortes davonfliegt und eine beeindruckende Demonstration urwüchsigen, fasnächtlichen Brauchtums zum Ausbruch kommt.

Die Kaminer erstürmen waghalsig so manches Haus.

Nach einem wettermäßig äußerst launischen Wochenende, das mit einem Mix aus Sonne, Sturm, Regen- und Schneeschauern Narren und Zuschauern bei diversen Narrentreffen im Lande einiges an Durchhaltevermögen abverlangt hatte, geht der Blick zunächst verhalten hoffnungsfroh, zugleich aber auch etwas argwöhnisch nach vorne zum nächsten Wochenende, an dem das große Schemenlaufen in Imst in Tirol, einer der ältesten und bedeutendsten Fasnachtsbräuche in Europa, stattfinden wird. Es kann nur besser werden!

Mit jedem Tag steigt der närrische Fieberpegel, nicht nur bei uns, auch so mancher verleiht im Gästebuch der Homepage der Imster „Fasnachtler“ (wohlgemerkt, denn die Bezeichnung „Narr“ kennt man in Imst nicht) seinem Sehnen nach dem großen Tag Ausdruck („I konn lei soge, dass die Imschter Fosnocht uifach die beschte isch“, „No 5 Tag, noche gimmer in d’ Fosnocht“, „Also wenns mi fragts, ohne Fosnocht kannt i nit lebn!“).


Vorroller Luis ist der wichtigste Mann
Es ist Freitag, der 13. Februar 2004, aber abergläubisch sind wir gar nicht. Über den tief verschneiten Arlberg erreichen wir die Tiroler Bezirkshauptstadt Imst, wo gerade noch die Schneereste in den Straßen auf LKWs aus der Stadt gefahren werden – alles für die Fasnacht. Noch keine zwei Stunden sind wir in Imst, da läuft uns ganz unvermittelt im Café „Knappenstube“, dessen Name an die Imster Bergbauvergangenheit erinnert, der „Vorroller“ Luis über den Weg, sodass wir Gelegenheit zu einem kurzen Kennenlernen haben. Der Vorroller ist die höchste Imster Fasnachtsfigur und führt den Maskenzug beim Schemenlaufen an. Für Sonntagmorgen hat uns der Luis bereits per Mail freundlicherweise zu sich nach Hause eingeladen, um beim Einkleiden zuzuschauen und zu fotografieren. Ja, Gastfreundschaft wird in Imst groß geschrieben! Die anschließende, vom Tourismusverband organisierte kulturhistorische Führung bietet interessante Einblicke in die Geschichte der mehr als 1200 Jahre alten Stadt Imst im Tiroler Oberland, deren alter Baubestand durch den großen Brand von 1822 größtenteils zerstört wurde. So mancher Imster soll damals alles verloren haben, außer seinem „Larverl“, dessen Rettung ihm wichtiger schien als sonstiges Hab und Gut. Imst ist heute mit seinen über 9000 Einwohnern eine pulsierende Stadt mit modernem Gepräge, oft kontrastieren Altes und Neues entlang der Hauptgeschäftsstraßen, während sich Beschaulichkeit und romantische Winkel eher in den Seitengassen finden lassen. Die Führung durch die Geschichte von Imst bietet auch immer wieder Anknüpfungspunkte zum Thema Fasnacht. So erfahren wir von unserer jungen Führerin u. a., dass die Imster Frauen auch heute noch ihren wichtigen Part in der Fasnacht im Nähen, Stricken, Aufputzrichten sehen, „damit der Ihrige der Schönste ist“; eine aktive Teilnahme an der bis heute reinen Männerfasnacht ist für die meisten jedoch nach wie vor unvorstellbar. Die seit Wochen Sonntag-abends in den Imster Straßen immer wieder abgehaltenen „Gangl“-Proben der Scheller und Roller steigern die Anspannung der Fasnachtler von Tag zu Tag, bis zum „Zapfenstreich“ der Hexenmusik am heutigen Freitagabend, der ein untrügliches Zeichen dafür ist, dass der große Tag nun bald gekommen ist.


Die Imster Scheller dokumentieren durch mächtige Bärte eindruckvoll die Männlichkeit ihrer Fasnachtsfigur.


Hausecken werden der Fasnacht geopfert
Doch noch haben wir den Samstag vor uns. Eine gelungene, multimedial gestaltete Führung durchs „Haus der Fasnacht“ mit einer beeindruckenden Larvensammlung verkürzt nicht nur die Stunden des Wartens, sondern ist für jeden Fasnachtsinteressierten äußerst lohnend. Das herrliche Wetter drängt uns dann am Nachmittag förmlich zu einer Winterwanderung zur Untermarkter Alm. Noch liegt das Tiroler Städtchen etwas verschlafen im Tal, doch schon bald wird dort unten im wahrsten Sinne des Wortes der Bär los sein. Bei der Rückkehr in die Stadt staut der Verkehr, denn eine weitere Imster Besonderheit wird soeben in Szene gesetzt: Sieben große Wägen, an denen seit Oktober gebaut wurde und die bisher unter strenger Geheimhaltung in Stadeln und unter Planen abgestellt waren, fahren nun zum Stadtplatz, wo man die Möglichkeit hat, sich diese „Wunderwerke“ näher anzuschauen und darin zu einem Umtrunk einzukehren. Bis zu 2000 Arbeitsstunden und 7000 bis 8000 Euro werden in so einen Wagen mit Imster Motiven investiert. Da ist z. B. das alte Imster Gefängnis naturgetreu, nur verkleinert, nachgebaut oder ein großes, auf einem Tieflader aufgebautes Fass mit einer mächtigen Weinbergschnecke, die ihre Fühler ein- und wieder ausfahren kann, erinnert an den Imster Weinbau von früher. Obendrauf steht eine Musikkapelle und stimmt auf das große Fest ein. Die Wägen werden normalerweise genau vermessen, damit sie auch durch die engen Gassen passen, doch als vor Jahren mal ein Wagen an einem Hausdach hängen zu bleiben drohte, wurde kurzerhand das Eck am Haus entfernt, damit der Wagen seinen Weg unbeschadet fortsetzen konnte. Einen solchen Stellenwert hat die Fasnacht in Imst!


Vorroller Luis wird in sein Gewand eingenäht.


Sechs Stunden höchste Glückseligkeit
Sonntag, 4.45 Uhr. Die Nacht ist zu Ende, die Spannung steigt von Stunde zu Stunde und vertreibt bald jede Müdigkeit. Die Fasnachtsmesse um 6.30 Uhr findet noch ohne uns statt. Um acht Uhr sind wir dann aber pünktlich beim Luis, doch keineswegs allein, auch TV-Teams und Journalisten aus Wien wollen das Einkleiden in Bild und Ton dokumentieren. In etwa einer Stunde wird aus dem Luis der Vorroller und das bereits zum fünften Mal, aus seinem Sohn ein „normaler“ Roller. Damit auch alles gut sitzt und beim Hüpfen nicht aufgeht, werden die beiden teilweise eingenäht, werden die farbigen Bänder an der Lederhose festgenäht, die Schuhbändel mehrfach verknotet. Zuletzt wird das „Gröll“, ein lederner Hüftgurt mit bis zu 48 Rollen, angelegt und die weibliche liebliche Larve mit dem mitraförmigen Aufputz, dem „Schein“, aufgesetzt, wie ihn auch der Widerpart des Rollers, der Scheller, nur in deutlich größerer Ausführung auf seiner männlich-derben, streng dreinblickenden Larve trägt. Sein Name leitet sich von den von ihm ebenfalls an einem ledernen Hüftgurt getragenen vier bis acht Schellen, dem „Gschall“ ab, das bis zu 35 Kilogramm wiegen kann. Während wir noch beim Luis sind, werden in der Innenstadt beim so genannten „Figatter“ bereits Schildbürgerstreiche sowie lustig-peinliche Begebenheiten und Missgeschicke aus dem Imster Alltag aufs Korn genommen. Nach dem Fasnachtausrufen beginnt dann ab halb zehn der Aufzug der rund 850 Masken (früher Schemen genannt, womit die ganze Figur bezeichnet wird) sowie der großen Fasnachtswägen von der Unter- in die Oberstadt. Roller und Scheller machen ihre ersten „Gangl“, ein ritualisiertes, fast erotisch anmutendes Tanzspiel, bei dem der Scheller sein mächtiges Gschall in Schwingung setzt, während der Roller leichtfüßig tänzelnd, Luftsprünge vollführend und lockend den „Pemsl“ schwingend vor ihm hertanzt. Und auch zwei Imster Fasnachtsbräuche kommen nun bereits ins Spiel. Roller, die am Straßenrand ihr Kind oder eines aus der Verwandtschaft sehen, holen dieses und führen bzw. tragen es tänzelnd zum nächsten Brunnen, um es mit ihrem „Pemsl“, einer Art Wedel aus fein gedrehten Espen- oder Lindenholzspänen mit einem ca. 50 Zentimeter langen Stiel, zu „taufen“. Der Scheller hingegen begibt sich zu der Frau am Straßenrand, die seinen „Aufputz“ gerichtet, ihn „aufgeputzt“ hat und überreicht ihr als Zeichen der Anerkennung einen schönen Apfel, den er auf der Spitze seines Schellerstabs trägt. Der Aufzug endet in der Oberstadt beim Hotel „Hirschen“ neben der Kirche, wo um zwölf Uhr die Larven nochmals abgelegt werden.





Gänsehaut und ein paar glückliche Tränen
Dann, nach dem letzten Schlag des Zwölf-Uhr-Läutens vom Kirchturm, setzt die in Bergführerkluft gekleidete Stadtkapelle zum Imster Fasnachtsmarsch an, Gänsehaut pur ist angesagt und so manchem Imster treibt es die „Zacher“ (Tränen) in die Augen. Die ersten Ordnungsmasken, Wilfligsackner, Bauresackner, Turesackner, Altfrankspritzer, Engelspritzer, Mohrenspritzer stürzen aus dem „Hirschen“, werden immer mehr, drängen die Zuschauer mit ihren mit Stroh und Maisflitschen prall gefüllten, ballonförmigen Säcken und den nicht zimperlich eingesetzten, langen Metallwasserspritzen an den Rand, schaffen Raum für den Vorroller, unsern Luis, die paarweise auftretenden Hauptfiguren, Roller und Scheller, sowie die sie parodierenden Alten, Laggeroller und Laggescheller, mit ihren lahmen, hinkenden Bewegungen. Die Ordungsmasken, dazu die Bären und ihre Treiber schließen einen ersten „Kroas“, in dem die 64 Roller- und Schellerpaare ihre „Gangl“ tanzen und die Vogelhändler ihre Runden drehen, während die so genannten „Kaminer“ oder „Ruaßler“ mit ihren Leitern an den Hauswänden hochklettern, um den Bewohnern im ersten und zweiten Stock einen Besuch abzustatten und sie anzuschwärzen. Wer sich von den Zuschauern zu weit auf die Straße vorwagt, bekommt von den Sacknern Schläge gegen die Beine, macht mit dem Puder der Kübele-Maje Bekanntschaft, um anschließlich einen kräftigen Schwung kalten Wassers von einem Spritzer ins Gesicht zu bekommen. Herzhaft geht es also durchaus zu in der Imster Fasnacht, die beste Kleidung sollte man als Zuschauer zum Schemenlaufen daher nicht unbedingt anziehen, aber dafür ist schließlich „Fosnocht“, wie die Imster sagen.


Der letzte „Kroas“ endet mit dem „Zsammschalln“
Ist der erste „Kroas“ durchtanzt, werden auch bereits die ersten Imster „eingeführt“, d. h. ein Roller- und Schellerpaar holt eine Imsterin oder einen Imster vom Straßenrand, tanzt ein Ehren- Gangl, führt sie bzw. ihn zu einem Tisch, wo es eine „Breze“ und ein kleines „Larvle“ oder Abzeichen gibt, wofür die (der) so Geehrte einen Obulus in eine Kasse entrichtet. Auch auf den Wägen wird kräftig eingeführt. Dort gibt’s dafür Hochprozentiges. Das Einführen bedeutet für jeden Imster eine große Ehre und stolz prangen im Laufe des Tages immer mehr Larvle bzw. Abzeichen auf der Brust, wodurch man Imster auch leicht von auswärtigen Gästen unterscheiden kann. Der Vorroller eröffnet schließlich den nächsten Kroas Richtung Unterstadt. Den Roller- und Schellerpaaren sowie Ordnungsmasken folgen die Hexen mit ihrer Hexenmusik, die Wägen und die „Labera“, eine Bänkelsängergruppe in Frack und Zylinder, die in humoriger Weise über Schildbürgerstreiche berichtet. Um 15 Uhr legen die Masken dann bei der Johanneskirche eine Verschnaufpause ein, bevor es mit dem nächsten Kroas Richtung Stadtplatz weitergeht, wo im Beisein Tausender Zuschauer ab etwa 17.15 Uhr der große Schlusskroas gebildet wird und beim „Zammschallen“ nochmals alle Register gezogen werden, die die Imster Fasnacht zu bieten hat: Bewegung, Tanz, Lärm, Musik, Einführen, Kaminer ..., bevor beim Betläuten um 18 Uhr, diesmal überraschend zehn Minuten zu früh, die erschöpften, aber glücklichen Fasnachtler ihre Larven abnehmen, ein bewegender und ergreifender Moment, denn das wird es erst in vier Jahren, halt, ausnahmsweise sogar erst in fünf Jahren, also im Jahre 2009 wieder geben, da die Fasnacht 2008 sehr kurz ist und somit die Vorbereitungszeit zu kurz wäre, so der Beschluss des Imster Fasnachtskomitees. Dafür wird das darauffolgende Schemenlaufen dann aber „bereits“ 2012 stattfinden.

Doch wer nun denkt, das war’s, der täuscht sich, denn am Montag nach dem Schemenlaufen findet dasselbe nochmals statt, mit ähnlichem Ablauf, allerdings ohne Larven. Das ist dann die „wilde Fosnocht“, bei der die Imster vorwiegend unter sich sind. An diesem Tag ist alles ungeordneter, un- reglementierter, wilder. Da bleibt kaum ein Kopf trocken, auch die Kübelemaje, nun plötzlich mit recht männlich wirkendem Gesicht, verteilt nochmals kräftig Puder und vielen sieht man beim Gangl die Strapazen des Vortages an. Mit diesen letzten Eindrücken verabschieden wir uns vom Luis und verlassen Imst nach einem unvergesslichen Fasnachtswochenende. Vier Jahre oder gar fünf, so wird nun mancher denken, das ist aber eine lange Zeit, doch um die – aufgrund der mit großem Aufwand vor jedem Schemenlaufen betriebenen Vorbereitungen – selbst auferlegte Beschränkung leichter zu überbrücken, haben sich die Imster Fasnachtler ebenfalls etwas einfallen lassen. Zwei Jahre nach dem Schemenlaufen der Erwachsenen und somit wiederum zwei, diesmal drei Jahre vor dem nächsten Schemenlaufen findet die Imster „Buabefasnacht“ statt. Alles läuft ab wie bei den Großen, nur alles eine Nummer kleiner, denn hier sind die Buben bis 16 Jahre die Akteure. Und eines gibt es schließlich jedes Jahr: das „Auskehren“ am Fasnachtsdienstag, wieder ein ganz eigener Brauch, bei dem allerdings Scheller und Roller nicht in Erscheinung treten. Doch das wäre bereits Stoff für eine andere Fasnachtsgeschichte aus Tirol.


www.fasnacht.at

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